
War's das mit der Pressefreiheit in Russland?
Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst. Russlands Invasion in die Ukraine ist da keine Ausnahme Die Sperrung bestimmter Inhalte durch die russische Medienaufsichtsbehörde Roskomnadzor und das harte Vorgehen gegen unabhängige Medien haben das Leben für JournalistInnen nachhaltig erschwert.
Vor kurzem verabschiedete die russische Regierung gar ein Gesetz, das die Verwendung des Wortes "Krieg" zur Beschreibung der Situation in der Ukraine verbietet. Auf dieser Grundlage können Medien, die über den Einmarsch berichten, der Verbreitung von Fake News bezichtigt werden. JournalistInnen laufen Gefahr, als VerräterInnen verurteilt zu werden und für 15 Jahre ins Gefängnis zu wandern.
In den letzten Wochen mussten unabhängige russische Sender wie Dozhd TV oder Echo Moskwy schließen, gleichzeitig stellten große internationale Medien wie die Deutsche Welle und BBC News, um nur einige zu nennen, ihre Arbeit im Land ein.
Dieser Druck ist für russische Medien nichts Neues. Im vergangenen Jahr wurden viele von ihnen als "ausländische Agenten" eingestuft, ein Etikett, das ihre Möglichkeiten einschränkt, und die Arbeit für JournalistInnen gefährlich macht. Die jüngsten Entwicklungen zeugen allerdings von einer neuen Qualität. Wie können die russischen Medien das harte Vorgehen des Kreml überstehen?
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Wie sieht die derzeitige Situation aus?
Während ausländische Medien ihre Büros schlossen und ihre MitarbeiterInnen aus dem Land brachten, mussten russische JournalistInnen nach anderen Wegen suchen, um Ihre Arbeit fortsetzen zu können. Die Reaktionen auf das harte Vorgehen fielen unterschiedlich aus.
Dozhd TV wird womöglich auf eine andere Plattform migrieren. Echo Moskwy wurde geschlossen, Chefredakteur Alexei Venediktov vom Vorstand entlassen. Der russische Propaganda-Sender Sputnik übernimmt nun die Frequenzen von Echo. Meduza, ein Schwergewicht unter den unabhängigen russischen Medien, arbeitet wie bereits zuvor von Lettland aus.
Die Novaya Gazeta ist wahrscheinlich das einzig verbliebene unabhängige Medium im Land, das sich noch über Wasser hält. Der Grund: Die Zeitung berichtet nicht mehr über den Krieg.
Mit welchen Strategien versuchen unabhängige russische Medien zu überleben?
Die Herangehensweisen von Meduza und der Novaya Gazeta zeigen bereits zwei unterschiedliche Wege auf. Doch es gibt noch weitere Strategien:
1. Verschiedene Plattformen
Da sich die Situation ständig ändert, müssen die Medien ihr Publikum auf verschiedenen Wegen erreichen können. Wie die Vorstandsvorsitzende von Meduza, Galina Timchenko, auf einem Online-Event sagte, das von IPI, Pressclub Concordia und fjum organisiert wurde, habe Meduza seine Präsenz auf allen Plattformen ausgebaut und nutze alle Informationskanäle, um sein Publikum zu erreichen. Auch die Novaya Gazeta arbeitet daran, seine Inhalte auf verschiedenen Plattformen zu übertragen. Dazu gehören unter anderem:
- Telegram—ein Messengerdienst, der dem Russen Pavel Durov gehört. Telegram bietet sich insbesondere seit der Sperre von Facebook, Instagram und Twitter als Alternative an. Allerdings gibt es unter russischen JournalistInnen einige Vorbehalte gegenüber dem Messenger. So sagte der stellvertretende Chefredakteur der Novaya Gazeta, Kirill Martynov, über Telegram: "Telegram bleibt ein guter Kanal, um Informationen zu verbreiten, aber man kann sich der Absichten des Gründers nie sicher sein: Sollte man Telegram unterstützen? Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wie Durov wirklich zu den russischen Behörden steht und ob er mit Ihnen bereits kooperiert."
Viele JournalistInnen im Land sorgen sich aufgrund der unklaren Absichten Telegrams, der Messenger könnte bereits in Kontakt mir der Regierung stehen. Auch wenn Durov selbst vielleicht nichts Schilde führt, ist das Risiko, dass die russischen Behörden das Netzwerk bereits überwachen, für unabhängige Medien einfach zu groß.
- Eine gute Alternative könnte deshalb YouTube sein. Da das russische Publikum auf YouTube sehr groß und unpolitisch ist, hoffen JournalistInnen, dass die Behörden vor einer Zensur zurückschrecken könnten. Wegen der neuesten Sanktionen des Westens ist es in Russland allerdings nicht mehr möglich, mit YouTube zu verdienen.
- Einen sicheren Ausweg könnten E-Mail-Newsletter bieten. Das Abonnieren eines Newsletters wird (noch) nicht als Verbreitung von Informationen betrachtet und fällt daher nicht unter die derzeitigen Beschränkungen. Außerdem scheint die Vorgehensweise bei den LeserInnen Anklang zu finden. Laut Timchenko würden sich derzeit täglich immer mehr Menschen für den Newsletter von Meduza anmelden.
2. Alternative Möglichkeiten zur Verbreitung ausloten
Meduza sei auf alle möglichen Szenarien vorbereitet, so die Vorsitzende Galina Timchenko. Dazu gehörte auch die Blockade durch die russischen Behörden. Die Online-Zeitung begann deshalb schon vor ihrer Sperrung damit, für die Nutzung von VPN-Clients zu werben.
Mit Erfolg. Trotz Sperre verzeichnet Meduza 500.000 einzelne NutzerInnen pro Tag auf seiner Website. "Wir haben dazu aufgerufen VPNs zu nutzen, Apps zu installieren und unsere anderen Ausspielwege zu nutzen. Das hat uns geholfen. Heute gehören wir zu den meistgenutzten Medien in Russland", sagt Timchenko.
Da die Novaya Gazeta neben ihrer Online-Ausgabe auch in gedruckter Form erscheint, ging die Zeitung einen anderen Weg. In Zeiten digitaler Zensur könne die Printausgabe eine gute Alternative sein, so der stellvertretende Chefredakteur Martynov.
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3. Unabhängig bleiben - im Rahmen des Gesetzes
Die jüngsten Mediengesetze haben einen zerstörerischen Charakter, der nicht genug betont werden kann. Dennoch gibt es Schlupflöcher. Es ist äußerst schwierig, eine Balance zwischen den geltenden Gesetzen und objektiver Berichterstattung zu finden. Die Novaya Gazeta versucht es trotzdem. So berichtet sie etwa noch immer über die Auswirkungen und Folgen des Krieges, nicht aber über den Krieg an sich.
Oder, wie Martynov es formuliert: "Wir können nicht über den Krieg selbst schreiben, aber wir können darüber berichten, was in Russland passiert, und welche humanitären und sozialen Krisen in Folge passieren." Allerdings zeigte die russische Regierung auch in der Vergangenheit bereits eine absolute Missachtung der eigenen Gesetze und ihrer Auslegung. Die Blockade von Medien und Verfolgung von JournalistInnen unterliegt der Willkür.
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4. Berichterstattung aus dem Exil
Es ist üblich, dass unabhängige Medien ihren Betrieb in andere Länder verlegen, um den Druck maßgeblicher Gesetze zu umgehen. Chinesische und neuerdings belarussische unabhängige Medien operieren im Exil und berichten über die verbotenen Themen aus sichereren Gebieten.
Viele russische liberale Blogger und Journalisten, darunter Yury Dud, zogen vor oder zu Beginn des Krieges in der Ukraine vorübergehend in andere Länder. Journalisten von Meduza aus Riga arbeiten ebenfalls von verschiedenen Standorten aus.
Es gibt jedoch noch ein paar Probleme mit dieser Option. Das erste sind rechtliche und finanzielle Komplikationen. Da die meisten russischen Bankkarten in Europa gesperrt sind, haben Journalisten kein Geld mehr. Visa zu bekommen ist ein weiterer Prozess, der Zeit in Anspruch nimmt, die sich russische Journalisten, die unter Anklage stehen, nicht leisten können.
Die zweite Komplikation hängt mit der Möglichkeit zusammen, über russische Angelegenheiten fair zu berichten, ohne physisch vor Ort zu sein. Alexey Pivavrov, ein berühmter Journalist mit einem beliebten Youtube-Kanal „Redaktsiya“, erwägt nicht, die Aktivitäten seines Kanals aus Russland zu verlagern. „Im Moment denke ich, dass wir nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben, in Russland zu arbeiten“, behauptete er.
Eine Möglichkeit, dieses Problem anzugehen, besteht darin, einen Teil des Teams in Russland zu haben. Meduza hat Journalisten und Mitarbeiter in Russland, deren Sicherheit jedoch in Frage gestellt wird. Wie Timchenko behauptete, behaupteten die russischen Behörden, schwarze Listen von Journalisten zu führen, die zu unterschiedlichen Zeiten für „ausländische Agenten“ gearbeitet hätten. Dies bringt laut Timtschenko die Journalisten von Meduza in Gefahr.
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Russische Medien können zwar weiterhin auf diese Weise arbeiten, aber es gibt keine Garantie dafür, dass sie in Zukunft verfügbar sein werden. Das pessimistischste Szenario ist ein digitaler Eiserner Vorhang, der den freien Informationsfluss in Russland vollständig blockieren wird.
Just on March, 11th Russian media reported that Roskomnadzor was asked to review restrictions on Instagram and made the decision to block it. There are also rumors that YouTube might be next. Head of the Safe Internet League Yekaterina Mezulina claimed that Youtube is spreading fake information about Russia and is dangerous for children.
Russische unabhängige Journalisten sind in ständiger Gefahr, da sie bereits als Staatsfeinde gelten und möglicherweise ins Gefängnis kommen können. Sperrungen und Schließungen der wichtigsten unabhängigen Medien zeigen, dass die Legalität für die Behörden keine Rolle spielt. Wenn sie Medien schließen oder Journalisten zum Schweigen bringen wollen, werden sie es wahrscheinlich tun.
Eine entschlossene Haltung einiger Vertreter unabhängiger russischer Medien, die sich am besten in den Worten Timtschenkos widerspiegelt: „Wir werden niemals kapitulieren“, lässt jedoch hoffen, dass sie immer noch in der Lage sein werden, dem russischen Publikum zu dienen, das dringend Wahrheit braucht.
